Barrierefreies Internet

Politischer Mitmach-Samstag des Arbeitskreises Bremer Protest

(erschienen im Onlinemagazin Bremer Zeitkultur, 15.06.2002)

Bremen. Mit schnellem Mausklick surft der Durchschnittsbenutzer durch das Internet, bleibt an schön gestalteten Seiten hängen, sucht sich Informationen heraus, klickt in Sekundenschnelle durch die Welt. So ist es wohl bei den meisten Surfern. Doch wer weiß schon, dass (nach vorsichtigen Schätzungen) mehr als 20 Prozent aller Internet-Benutzer von diesem Durchschnittssurfer abweichen? Sie können nicht oder nur schlecht sehen oder hören, können die Maus nicht mit der Hand bewegen oder sind auf irgendeine Art eingeschränkt in ihren motorischen Fähigkeiten.

Im Straßenverkehr werden  Behinderten immer mehr Hilfen angeboten – piepende Ampeln, Rillen an der Straßenbahnhaltestelle, Bücher in Blindenschrift, Tageszeitungen, am Telefon vorgelesen. Auch im Internet brauchen sie einige Hilfen, wie so genannte Screen-Reader oder Monitore, die Schrift in eine Braille-Zeile verwandeln, oder Mäuse, die mit dem Kopf bewegt werden. Doch allein diese Mittel nützen wenig, wenn die Websites falsch angelegt werden. Dann stoppt zum Beispiel der Screen-Reader oder liest Unsinn vor, den der Blinde nicht verstehen kann.

Behinderte in der Gesellschaft

Vor kurzem hat der Arbeitskreis Bremer Protest einen „politischen Mitmach-Samstag“ veranstaltet, an dem in verschiedenen Workshops die Situation von Behinderten in der Gesellschaft diskutiert wurde. Ein Kursus befasste sich mit „barrierefreiem Internet“ – dahinter verbirgt sich das Ziel, möglichst viele Hürden, die sich für Behinderte beim Surfen ergeben, zu beseitigen. Behinderte und Nichtbehinderte haben an diesem Tag verschiedene Hilfsmittel ausprobiert und damit Seiten auf ihre Barrierefreiheit überprüft. Und immer wieder waren die Nichtbehinderten erstaunt darüber, wo Klippen beim Surfen auftauchten, die sie sehenden Auges gar nicht wahrgenommen hätten.

Weil aber neben den Hilfsmitteln auch die Seiten selbst barrierefrei sein sollten, müssen sich Webmaster an gewisse Regeln halten. Die sind übrigens schon seit Jahren in den offiziellen Richtlinien des World Wide Web-Konsortiums – W3C – festgehalten, nur halten sich immer noch zu wenige daran. www.w3.org/TR/WAI-WEBCONTENT

Einfache Regeln

Dabei sind die Regeln zum Teil gar nicht schwer einzuführen. Dass ein Bild immer auch einen aussagekräftigen Alternativtext anbieten sollte (<img scr=“blabla.gif“ alt=“Foto von meinem Hund“>), ist auch für solche Menschen hilfreich, die bei ihrem Browser zum Beispiel zwecks schnellerer Übertragungsraten die Bildansicht abgeschaltet haben. Und der Screen-Reader eines Blinden liest dann nicht nur „Grafik“ vor, sondern eben „Grafik Foto von meinem Hund“. Schwierig sind aus dem gleichen Grund auch Flash-Animationen – das sind reine Grafiken, die ein Blinder nicht sehen kann. Deshalb sollten wichtige Informationen auch niemals nur als Grafiken abgebildet werden – mindestens ein Alternativtext ist nötig.

Manche Sehbehinderte brauchen nicht nur eine andere Bildschirmauflösung, sondern auch einen anderen Hintergrund, um Texte lesen zu können, zum Beispiel rein Schwarz-Weiß oder invertiert. Das sollte man beachten, wenn man seinen Text farblich hinterlegt – ist er dann immer noch lesbar? Flackernde und blinkende Texte können bei Menschen mit fotosensitiver Epilepsie gesundheitsschädlich sein, und auch manche Screen-Reader verweigern dabei ihren Dienst.

Linearisierte Tabellen

Wer mit Tabellen arbeitet, sollte immer darauf achten, dass die einzelnen Tabellenzellen linearisiert gelesen werden können, das heißt Zeile für Zeile von links nach rechts. Sonst wird der Text aus seinem Zusammenhang gerissen. Bei sichtbaren Tabellen sind zum Beispiel korrekte Zeilen- und Spalten-Überschriften wichtig – auch für Nichtbehinderte. Frames sind für alte Screen-Reader und text-orientierte Browser eine Hürde, die nicht übersprungen werden kann. Für diese User ist der NOFRAMES-Bereich elementar wichtig. Meistens steht da nur der freundliche Hinweis: „Ihr Browser unterstützt keine Frames“.

Wichtiger wäre hier ein kurzer Text über den Inhalt der Seiten und vor allem eine Navigation, die ohne Frame auskommt. Am besten ist natürlich eine eigene Textversion, doch weil dies meist eine komplette Umstrukturierung der Seiten zur Folge hätte, reichen zur Not auch die wichtigsten Links zur Navigation auf der Site.

Screen-Reader helfen

Mittlerweile erkennen die meisten Screen-Reader die Frame-Struktur. Allerdings lesen sie tatsächlich jeden Frame einzeln vor, auch wenn sich nur das Hauptfenster verändert hat… ein wenig nervig für das ungeübte Ohr, aber absolut notwendig, denn der blinde User muss ja jederzeit die Möglichkeit haben, wegzusurfen. Eine sinnvolle Benennung der einzelnen Frames ist allerdings hilfreich, also nicht  „frame0“, „frame1“ und so weiter, sondern „Navigation“, „Hauptfenster“ et cetera.

Eine wichtige Bedeutung in diesem Zusammenhang haben auch die Style Sheets. Mit ihnen können Layouts festgelegt werden, und dennoch hat der Betrachter die Möglichkeit, die Seiten entsprechend seinen Bedürfnissen oder auch Zugangsmöglichkeiten zu sehen (man denke nur an UMTS-Nutzer…). Diesen Punkt auszuführen, wäre allerdings einen eigenen Artikel wert.

Hilfreiche Links

Das sind einige wesentliche Regeln, an die sich Webmaster halten sollten, um Barrierefreiheit zu garantieren. Wem das zu aufwändig ist, weil er seine komplette Website umbauen muss, sollte wenigstens mit der ersten und den meistbesuchten Seiten anfangen und die Vorlagen für neue Seiten entsprechend ändern. Ob seine Seiten barrierefrei sind, kann übrigens jeder überprüfen unter www.cast.org/bobby . Einen textorientierten Lynx-Browser gibt es unter www.rene4u.com/intool.htm . Den Screen-Reader Jaws kann man sich kostenlos herunter laden unter www.freedomscientific.de/serv01.htm.

Wer sich intensiver mit dem Thema als Webmaster befassen möchte, dem sei das Heft „Barrierefreies Webdesign“ aus dem KnowWareVerlag ( www.knowware.de ) empfohlen. Außerdem informiert Stefan Münzbergers „SelfHTML“ exzellent über das Thema. Die Adresse: http://selfaktuell.teamone.de/artikel/design/barrierefrei/index.htm. Weitere allgemeine Infos zum Thema „Barrierefreies Internet“ stehen auf der Projektseite von „Aktion Mensch“ ( www.einfach-fuer-alle.de ). Und eine interessante Seite von einem Blinden findet sich unter www.matthias-haenel.de.

Surfen erleichtern

Am Ende des Workshops sagte ein Teilnehmer: „Genauso wenig wie es ‚die’ Behinderung gibt, kann es ‚die’ Barrierefreiheit geben.“ Aber es gibt einige Dinge, auf die jeder Webmaster achten sollte und die behinderten Surfern die Benutzung des Internets ein wenig erleichtern.

Birgit Köhler

Journalistin
Historikerin
Lyrikerin
Autorin
aus Bremen