Die Bremer Räterepublik 1918/1919

Einleitung


In der Geschichtsschreibung der revolutions- und krisenreichen ersten Jahre der Weimarer Republik fällt oft das Stichwort des Rätesystems, das in verschiedenen Städten und Ländern nach der Novemberrevolution in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollte. Berühmtestes und oft einzig genanntes Beispiel ist die Münchener bzw. Bayrische Räterepublik. Dass es aber überall in ganz Deutschland etliche Versuche dazu gab, ist oft weniger bekannt.

Dieses Referat soll am Beispiel der Räterepublik Bremen, die, mit Vorspiel, vom 6. November 1918 bis zum 4. Februar 1919 existierte, eine Variante des Rätesystems mit ihren Problemen, Erfolgen und Untergang untersuchen.

Da es hierzu nur wenig Literatur gibt, beziehe ich mich hauptsächlich auf das Werk Peter Kuckucks „Bremen in der Deutschen Revolution 1918-1919 Revolution – Räterepublik – Restauration“ (Bremen 1986), daneben bot der entsprechende Abschnitt in Herbert Schwarzwälders „Geschichte der Freien Hansestadt Bremen“ (Hamburg 1983) nur wenige ergänzende Informationen aus der stark bürgerlich-konservativen Perspektive. Ich verzichte aus diesem Grund im folgenden auf einzelne Fußnoten und verweise auf diese beiden Untersuchungen.

Die politische und Sozialstruktur in Bremen Anfang des 20. Jahrhunderts


Die Hansestadt Bremen war eine Handelsstadt mit dem wichtigsten deutschen Hafen für den Amerika-Handel. Infolgedessen besaß die zahlenmäßig kleine Oberschicht ein großes Handels- und Industriekapital und war politisch eher konservativ kaisertreu bzw. stand hinter der Regierung von 1912. Einen erheblichen Bevölkerungsanteil machten mittlere und kleinere Unternehmer sowie höhere Angestellte aus. Sie hatten zuvor das System nicht in Frage gestellt, denn sie profitierten schließlich davon, sie hatten höchstens Reformen zu ihren Gunsten gefordert. Die restliche Arbeiterschaft war der Mittelschicht nicht nur zahlenmäßig unterlegen, sie war auch nicht homogen. Viele waren politisch nicht aktiv, das wirkliche Revolutionspotential lag nur bei den Facharbeitern der Großindustrie, allen voran der Werft „A.G. Weser“

Durch die herrschende politische Struktur war die Mehrheit der Bevölkerung von aktiver Mitbestimmung ausgeschlossen: Das Bürgerrecht gab es nur für männliche volljährige Erwachsene, die 16,50 Mark für den Bürgereid aufbringen konnten. Seit 1854 galt ein allgemeines Acht-Klassen-Wahlrecht, das einerseits nach Berufsständen, andererseits aber auch nach Wohnvierteln gegliedert war und den konservativen Elementen in der Bürgerschaft eine Mehrheit verschaffte. Die 16 Senatoren, von denen mindestens zehn Rechtsgelehrte und drei Kaufleute sein mussten, waren lebenslang im Amt, durch Selbstergänzung blieb diese Gruppe auch bis 1918 weitgehend homogen. Einzig die Deputationen, die Unterausschüsse mit ministerialen Aufgaben, waren gleichberechtigt aus Senat und Bürgerschaft zusammengesetzt.

Die Anfänge der Bremer Räterepublik


Die am Ende des ersten Weltkrieges überall in Deutschland herrschende revolutionäre Spannung entlud sich auch in Bremen frühzeitig. Bereits am 4.11.1918 forderte der Bremer USPD-Reichstagsabgeordnete Henke die Errichtung einer sozialistischen Republik und die Abdankung des Kaisers und sämtlicher Landesfürsten. Der am gleichen Tage stattfindende Kieler Matrosenaufstand schlug weite Kreise unter den norddeutschen Soldaten und Arbeitern, und so kam es am 6.11.1918 zu einer durch Kieler Matrosen initiierte Militärrevolte in Bremen.

Eine Delegation aus Kiel befreite gemeinsam mit Werftarbeitern der „A.G. Weser“ gefangene Kameraden. 350 gefangene Soldaten, die nach Munsterlager in die Lüneburger Heide gebracht werden sollten, meuterten noch am Bremer Bahnhof, entwaffneten die sie bewachenden Marinesoldaten und zogen zum Rathaus, die Bewacher schlossen sich ihnen an. Und 100 Soldaten des Regiments „Bremen“, die noch kurz vor dem offiziellen Kriegsende ins Feld geschickt werden sollten, verweigerten unter der Führung des Wehrmanns Ecks ihren Gehorsam. Diese verschiedenen Aufstände von Teilen des Militärs verliefen zunächst unabhängig voneinander, vereinten sich dann aber abends in der gemeinsamen Besetzung der Garnison ebenfalls unter Ecks‘ Leitung. Die ad hoc gebildete vierköpfige Kommission, die mit dem Garnisonsältesten über die Übernahme der militärischen Gewalt verhandelte, war schließlich auch die Keimzelle für den sich in der Folge bildende Soldatenrat. Er sorgte für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im verhängten Belagerungszustand.

Bildung der Räteorgane


Bereits am Abend des 6. Novembers gab es also den Anfang eines Soldatenrates und einen provisorischen Aktionsausschuss aus 4 USPD-Mitgliedern und 3 Linksradikalen. Am 7.11. wurde offiziell ein Arbeiterrat ausgerufen, und die bereits darin sitzenden aus der Arbeiterbewegung bekannten Funktionäre wurden durch Zuwahl auf 180 Mitglieder ergänzt, deren Mehrheit USPD-Anhänger waren.

Im Soldatenrat saßen zunächst 4 Offiziere und 6 Soldaten, tags darauf wurden die Offiziere jedoch ausgeschlossen und nur noch als „technische Berater der Garnison“ gebilligt. Vertrauensleute, die von den Soldaten direkt gewählt wurden, entsandten 30 bis 50 Soldaten in den Rat, der nun einen siebenköpfigen Vorstand, eine Exekutive und verschiedene Ausschüsse hatte. Die Vertrauensleute hatten ein ständiges Rückruf- und Einspruchsrecht im Soldatenrat, damit waren Ansätze einer Basisdemokratie und des Rätesystems gewahrt. Arbeiter- und Soldatenrat übernahmen gemeinsam die Legislative und waren Kontrollorgan für den Aktionsausschuss, der für aktuelle politische Aufgaben verantwortlich war.

Der Aktionsausschuss, der sich bereits am ersten Tag gebildet hatte, erweiterte sich auf 15 Mitglieder, die nicht unbedingt auch im Arbeiter- oder Soldatenrat sitzen mussten. Besonders in den 6 Unterausschüssen, die dem Aktionsausschuss die Arbeit erleichtern sollten, waren kompetente Fachleute unverzichtbar, die in den Gewerkschaftlern, die zumeist aus der MSPD kamen, gefunden wurden.

Ebenfalls am 7. November forderte Henke auf einer Demonstration wahre demokratische Rechte für das Volk, denn nur wahre Volksmacht in Form einer Räterepublik und nicht die Scheinmaßnahmen der Reichsregierung könne Wilsons 14 Waffenstillstandsbedingungen erfüllen. Er verwies auch auf die Revolutionen in Kiel, Hamburg, Wilhelmshaven, Lübeck und Hannover als Zeichen der sich ausbreitenden Weltrevolution.

Zusammenarbeit von Arbeiter- und Soldatenrat und alten Gewalten


Die beiden Räte mussten, um nicht aneinander vorbei zu arbeiten, sich in wöchentlichen Vollsitzungen enger absprechen. Da jedoch der Arbeiterrat eher linksradikal und der Soldatenrat eher rechtssozial eingestellt war, waren Schwierigkeiten vorprogrammiert, die nicht lange auf sich warten ließen und das gesamte Rätesystem gefährdeten.

Die alten Gewalten, der Senat und die Bürgerschaft, arbeiteten zunächst wie bisher weiter. Am gleichen Tag, als sich Arbeiter- und Soldatenräte konstituierten, verabschiedete der Senat Reformvorschläge, die auf ein gleiches Wahlrecht, auch für Frauen, und eine Beteiligung der MSPD an der Regierung abzielten. Zuvor waren diese Reformen versäumt worden, sei es aus Gründen der Machterhaltung, der Prinzipientreue oder schlicht der Kurzsichtigkeit, nun war es jedoch für Reformen zu spät. In anderen Städten hatte die Zusammenarbeit von bürgerlichen Linken und MSPD im Senat im Vorfeld der Revolution bereits die Situation entradikalisiert, in Bremen war dies nicht mehr möglich.

Die Kooperation von alten und neuen Gewalten war kritisch, denn die Versorgung und die Wirtschaft wurden durch die unsichere Situation gefährdet. Die Reputation der Stadt im Ausland stand auf dem Spiel, Steuerzahlungen blieben aus.

Um in dieser Zeit, da der Staatsapparat schwankend und die Räte noch zu schwach waren, Ordnung zu bewahren, kam es zu einer Doppelherrschaft im Leninschen Sinne: Der Senat hatte den gesamten Verwaltungsapparat unter sich, der Arbeiter- und Soldatenrat die militärische Macht, mit der er den Senat überwachte, soweit es ihm möglich war.

Am 14.11.1918 wurden der Senat und die Bürgerschaft formal als Regierungsorgan ausgeschaltet, nun lag die alleinige politische Macht beim Arbeiter- und Soldatenrat, d.h. beim Aktionsausschuss, der Senat verblieb in den Verwaltungsspitzen. Um die Verwaltung kontrollieren zu können und seine Weiterführung im Sinne der Revolution zu garantieren, wurde ein gemeinsamer Zwölfer-Ausschuss aus je 6 Mitgliedern des Arbeiter- und Soldatenrates und des Senats gebildet, das sozusagen das Bindeglied in der Verwaltung darstellte.

Der Senat und die Bürgerschaft akzeptierten ihre Absetzung zwar nicht, arbeiteten aber für das Gemeinwohl weiter in der Verwaltung. Dort besaßen sie jedoch trotz des Zwölfer-Ausschusses aufgrund ungeklärter Zuständigkeiten weiterhin einige Macht, die sie dazu benutzten, auf ihre Wiedereinsetzung hinzuarbeiten. Anfang Dezember wurde dieser Versuch endgültig abgelehnt, womit eindeutig Position zur künftigen Staatsform bezogen wurde: in Bremen sollte nicht das „Hamburger Modell“ gelten, sondern das Sowjet-System.

Interne Probleme


Die Schwierigkeiten innerhalb des Arbeiter- und Soldatenrates kristallisierten sich an den Fragen der Wahlen zu der Nationalversammlung, der Bewaffnung des Proletariats und der Radikalisierung des zukünftigen Kurses.

Die bürgerlichen Parteien sahen in den für den 19. Januar 1919 ausgeschriebenen Wahlen zu der Nationalversammlung eine Chance, das Rätesystem zu stürzen, und unterstützen sie vehement. Aus dem gleichen Grund lehnten die Kommunisten die Wahlen genauso vehement ab. Die MSPD befürwortete die Wahlen, da dies für sie die einzig vertretbare Form der Demokratie war. In der USPD dagegen gab es unterschiedliche Stimmen. Mehrheitlich war sie für das Erfurter Programm und damit auch für die Wahlen, doch wollte sie den Zeitpunkt aus taktischen Gründen verzögern, sie hoffte auf vorherige soziale Veränderungen, die durch eine Demokratie nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten. Außerdem sahen sie die realen Machtverhältnisse im Reich und fürchteten eine Isolation Bremens. Diese unterschiedlichen Meinungen äußerten sich also auch innerhalb der Räte und erschwerten die Zusammenarbeit.

Ein weiterer Konfliktpunkt innerhalb der Räte war die Bewaffnung der Arbeiter. Die Linksradikalen im Arbeiterrat, die sich in der Zwischenzeit zur Abgrenzung von den anderen linken Parteien in „Internationale Kommunisten Deutschlands Gruppe Bremen“ umbenannt hatten, forderten die Entwaffnung der Soldaten und die Bildung Roter Garden von je 1000 Mann Stärke, von denen einige aktive Bataillone kaserniert werden, die anderen passiv mit der Waffe zur Arbeit gehen sollten und so insgesamt das Rätesystem gegen innere und äußere Bedrohungen schützen sollten. Der Soldatenrat bestand seinerseits auf seinem Waffenmonopol, dafür seien sie schließlich Soldaten. Die Folge dieses Konfliktes war, dass die Kommunisten illegal zuverlässige Arbeiter bewaffneten und der Soldatenrat sich Waffenbündnissen mit anderen Soldatenräten in Hannover und Wilhelmshaven anschlossen.

Dies war ein erstes Zeichen der wachsenden Radikalisierung innerhalb des ultralinken Spektrums in den Räten. Zur gleichen Zeit kehrte Knief nach Bremen zurück, ein kommunistischer Dogmatiker, der zum Gegenspieler des bis dahin führenden Pragmatikers Henke avancierte.

Die Kommunisten wollten nach der „bürgerlichen Revolution“, die mit der Kaiserabsetzung begonnen hatte, keine Konsolidierung der Verhältnisse, sondern trieben die „proletarische Revolution“ mit einem verschärften Klassenkampf voran und versuchten, die USPD durch Massenaktionen unter Druck zu setzen. Henke mußte angesichts Kniefs radikaler Agitation „Farbe bekennen“, um nicht die Massenbasis der USPD zu verlieren. Als die Kommunisten die Reinigung der Räte von „Arbeiterverrätern“- also von MSPD-Mitgliedern, verlangten, unterstützte sie die USPD notgedrungen. Die MSPD schied Ende Dezember aber als Reaktion auf die Radikalisierung der beiden anderen linken Parteien „freiwillig“ aus. Der Gegensatz zwischen Räten und Senat verschärfte sich nun durch den fehlenden MSPD- Puffer.

Externe Probleme


Ende Dezember bis Anfang Januar erwuchs den Räten erneut Gefahr durch die heimkehrenden disziplinierten Truppen, die das „Hamburger Modell“ verlangten: die Wiedereinsetzung des Senats und der Bürgerschaft mit Vetorecht für den Arbeiter- und Soldatenrat. Angesichts dieser drohenden Teilliquidierung der Räte stimmte der Soldatenrat schließlich der Bewaffnung des Proletariats als dem kleineren Übel zu. Das reichstreue Regiment 75 wurde durch die revolutionären Soldaten und Roten Garden entwaffnet und eingesperrt, die kontrarevolutionäre Gefahr war fürs erste gebannt, der Soldatenrat hatte aber auch an Macht und politischer Kraft eingebüßt.

Eine ständige kontrarevolutionäre Gefahr bildete das Bürgertum. War es zunächst nach der Absetzung des Senats gelähmt, wurde es schnell wieder aktiv: Ein Beamtenrat entsandte zwei Abgeordnete in den Arbeiterrat und ein Bürgerausschuss forderte bürgerlicher Rechte ein. Diese bürgerlichen Organe wurden zwar immer wieder in ihrer Versammlungs- und Pressefreiheit behindert, aber nicht systematisch unterdrückt. Das Bürgertum übte mit dem Hinweis auf die Finanz- und Wirtschaftskrise einigen Druck auf die Räte aus. Durch die heimkehrenden politisch desorientierten oder reicherten Truppenverbände hoffte es auf weitere Einflußmöglichkeiten; als diese jedoch entwaffnet wurden, war diese Hoffnung zerschlagen und einzig die Reichsregierung konnte nun noch eingreifen.

Doch auch innerhalb der Stadt hatte das Bürgertum noch Einflußmöglichkeiten, saß es doch noch fast unkontrolliert in der Verwaltung. Um die Jahreswende verweigerte der Senat denn auch die weitere Finanzierung der Räte, was Rufe nach der Absetzung des Senats auch aus der Verwaltung zur Folge hatte. Der Senat gab dann schließlich bei und gewährte die benötigten Finanzmittel für die Wehrbataillone und das Arbeitslosengeld, der Konflikt war erst einmal beigelegt, die Situation blieb aber symptomatisch.

Wahl zum neuen Arbeiterrat


Die MSPD schied nicht nur „freiwillig“ aus den Räten aus, sondern wollte sich auch nicht an den für Anfang Januar geplanten Neuwahlen zum Arbeiterrat beteiligen. Damit hätte sie sich aber vollständig aus der Räteregierungsarbeit ausgeschaltet und jeglichen Einfluss verloren. So ließ sie sich lieber wählen und hoffte auf ein ähnliches Ergebnis wie in anderen revolutionären Städten, wo die MSPD immerhin die Mehrzahl des linken Bürgertums vertrat. Zu dieser Wahl am 6.1. nach gemischtem Mehrheits- und Verhältniswahlrecht waren aber nur linksparteilich organisierte Arbeiter und Arbeiterinnen zugelassen. Die Kommunisten kandierten eigenständig, da sie auf einige Stimmen unentschlossener USPD-Wähler hofften. Das Ergebnis war für die MSPD 104 Sitze, für die USPD 59 und für die Kommunisten 60 Sitze. Als bekannt wurde, dass die MSPD die Wahlen manipuliert hatte, indem sie noch bis kurz vor der Wahl an jeden, der es wünschte, ungeachtet seiner politischen Gesinnung, Parteibücher ausgegeben hatte, um dadurch auch Bürgerlichen die Möglichkeit zur Wahl der MSPD zu geben, wurde die MSPD aus dem neuen Arbeiterrat ausgeschlossen. Die freibleibenden Plätze der MSPD wurden durch Zuwahl von KPD- und USPD-Mitgliedern ausgefüllt. Doch auch unter den verbleibenden Parteien herrschte keine Einigkeit: Die Kommunisten verlangten, dass noch mehr Arbeiter bewaffnet und „Arbeiterverräter“ auch aus der USPD entfernt werden sollten.

Proklamation der Räterepublik


Der Spartakus-Aufstand in Berlin vom 4. bis 10. Januar 1919 bildete den Auftakt zu einer neuen Phase in der deutschen Revolution, nun sollte auch in Bremen die proletarische Revolution kommen.

Im Vorfeld war die Bremer Garnison neutralisiert worden, und die Kommunisten forderten mit Unterstützung der Massen weitere Arbeiterbewaffnung, totale Absetzung des Senats auch aus der Verwaltung und Weltrevolution nach russisch-bolschewistischem Vorbild.

Als am 10. Januar 1919 die Bremer Räterepublik von den Kommunisten ausgerufen wurde, ging dies friedlich „mit Musik“ vor sich. Der Arbeiter- und Soldatenrat wählte die neue Räteregierung in Form eines Rates der Volksbeauftragten, der Exekutive der Räte, in denen 5 USPD-Leute und 4 Kommunisten saßen, faktisch aber eine Überlegenheit des radikalen Spektrums durch einige ultralinke USPD-Mitglieder herrschte. Der Rat der Volksbeauftragten war nun noch radikaler als der Arbeiter- und Soldatenrat, dem er verantwortlich war. Als Ersatz für den Aktionsausschuss wurde nach Kniefs Programm ein Vollzugsrat eingerichtet, der zusammen mit dem Rat der Volksbeauftragten die ehemals senatorischen Ämter, nun Volkskommissariate genannt, kontrollierte. Henke, der USPD-Führer, wurde ohne sein Wissen zum Präsidenten der Republik Bremen ernannt.

Mit dem Ende der Doppelherrschaft von Senat und Räten wurden nun auch die Verwaltungsspitze revolutionär besetzt. Der eigentliche Beamtenapparat blieb jedoch derselbe und wurde in seiner Arbeit auch kaum von der neuen Regierung gestört, die gar nicht das Wissen hatte, die Verwaltung vollständig umzugestalten. Damit blieb eine konterrevolutionäre Gefahr bestehen.

Putschgefahren


Durch die Entwaffnung weiter Kreise der Garnison war in derselben und in Teilen des Soldatenrates eine große Unzufriedenheit entstanden. Die Spannungen zwischen Regierung und Garnison äußerten sich auch in der Forderung der Kommunisten, die Garnison vollkommen aufzulösen. Als Reaktion hierauf nahmen einige Matrosen am 14.1. den unbeliebten kommunistischen Stadtkommandanten fest. Die Kommunisten aktivierten die Roten Garden, und nach einigen Kämpfen kam es zu Verhandlungen, in denen der Rat der Volksbeauftragten vermittelte. Ergebnis war, dass die Marinesoldaten teilweise entwaffnet und die Waffen gemeinschaftlich von Soldaten und Arbeitern verwaltet wurden. Der Stadtkommandant wurde vorsichtshalber abgesetzt.

Dieser Putsch war nicht gegen die Räteregierung als Ganzes, sondern nur gegen einzelne kommunistische Soldatenräte gerichtet, die sich für eine weitere Entwaffnung der Garnison ausgesprochen hatten, und insofern war der Putsch „unpolitisch“. Im verhängten Belagerungszustand wurde das Waffenproblem durch einen Kompromiss mit paritätischen Wachen, gemeinsame Waffenverwaltung und Überprüfung der Arbeiterbataillone gelöst.

Doch diese Lösung zog einen weiteren Putsch-Versuch nach sich: links-aktivistische Kreise der KPD trieben Arbeiter zu einem Aufstand unter umgekehrten Vorzeichen, um gegen den Kompromiss der KPD zu protestieren. Dieser Versuch währte zwar nur kurz und war letztlich erfolglos, zeigte aber gut die Unfähigkeit der Parteien, ihre eigenen Mitglieder zu disziplinieren, und die Gefahr, die aus einer Bewaffnung der Arbeiter erwachsen kann.

Beide Putsche, die auch zeitlich kurz aufeinanderfolgten, bewiesen, dass die Macht der revolutionären Regierung vollkommen von der Befehls- und Waffengewalt abhing. Die USPD mahnte währenddessen zu Besonnenheit, die Putsche destabilisierten nur die innere Lage und gäben der Reichsregierung einen Anlass zur militärischen Intervention.

Nationalversammlungswahlen und Finanzmisere – Der Anfang vom Ende


In der neuen Räteregierung herrschten unterschiedliche Meinungen über die Wahlen zur Nationalversammlung: einerseits wurden sie als der Todfeind der Räterepublik“ bezeichnet, andererseits wurden aber auch die demokratischen Traditionen in der Arbeiterschaft, die Isolation Bremens und die tatsächlichen Machtverhältnisse im Reich erkannt, die Repressalien von außen ermöglichten. Am 13.1. erfolgte eine Abstimmung im Arbeiter- und Soldatenrat über die Zulassung der Wahlen in Bremen. Trotz Ablehnung der Kommunisten wurden die Wahlen mit 101 zu 88 Stimmen zugelassen und unter den Schutz der Räterepublik gestellt.

Das Ergebnis der Nationalversammlungswahlen am 19.1. zeigt deutlich die Stimmung in der Bevölkerung neun Tage nach Proklamation der Räterepublik: MSPD gewann 41,5 Prozent, die USPD 18,7 Prozent und die DDP 34,2 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 84,1 Prozent, die Kommunisten boykottierten offiziell die Wahlen. Es war also schon ein sozialistischer Sieg, aber nur die 18,7 Prozent USPD-Wähler sprachen sich auch gleichzeitig klar für die Räterepublik aus, die anderen waren eher sozialdemokratisch. Die Kommunisten schieden nach dieser Niederlage aus dem Rat der Volksbeauftragten aus und überließen der USPD die alleinige Last der Regierung.

Diese Last wurde in der kommenden Zeit immer schwerer: Die Banken stoppten die Kredite für die hochverschuldete Stadt und verlangten sogar Rückzahlungen, da sie der neuen Regierung kein Vertrauen schenkten. Die Räteregierung konnte ihre finanziellen Aufgaben nicht länger erfüllen und beugte sich dem Druck der Banken, die die Respektierung der Reichsgesetze und die Wahl einer Volksvertretung zur Bedingung neuer Kredite machte. Dies war nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine politische Bankrotterklärung des Rätesystems in Bremen.

Die Wahl zur Volksvertretung mit 200 Abgeordneten zur Ausgestaltung einer neuen Verfassung, einer Gesetzgebung und der Berufung einer Exekutive wurde für den 2. März 1919 angesetzt. Damit war im Grunde die Selbstliquidierung der Räterepublik eingeleitet. Sie ist aus der allgemeinen finanziellen und wirtschaftlichen Misere, der Isolation Bremens, nachdem bis zum 11. Januar alle norddeutschen Räterepubliken außer Cuxhaven, Vegesack und Blumenthal entweder militärisch niedergeschlagen oder innerlich zugrunde gegangen waren, und der Unfähigkeit der Bremer Revolutionären im Verwaltungs- und Wirtschaftsbereich zu verstehen.

Die Reichsregierung griff aber trotzdem noch vor dem selbständigen Ende des Rätesystems ein, denn nach der Machtkonsolidierung nach dem Spartakus-Aufstand war die Niederwerfung der Bremer Republik das erste Ziel der Innenpolitik Berlins. Zuvor hatten Bürger, Offiziere und auch einige MSPD-Mitglieder aus Bremen in Berlin um Reichshilfe gebeten, was die Regierung in ihrem Vorhaben, ein Exempel zu statuieren, noch bestätigte. Offizielles Argument war jedoch, der Handel mit Amerika, dessen wichtigster Hafen Bremen war, sei durch die Umtriebe dort gefährdet.

Die Räterepublik erleichterte ein Eingreifen noch durch das nicht gelöste Sicherheitsproblem und die chaotischen und uneinigen Zustände in allen Lagern. Selbst nach dem Versprechen einer freiwilligen Arbeiterentwaffnung und des Rücktritts des Rates der Volksbeauftragten hielt die Reichsregierung an ihrem Vorwand fest.

Militärische Intervention und die Folgen


Am 29. Januar traf die Freikorps-Division Gerstenberg, 3500 Mann und 24 Geschütze, in Verden ein. Unterstützung erhielt sie von einem Freiwilligen- Korps aus der Bremer Oberschicht von noch einmal 300 Mann. Ihr Ziel war es, „Ruhe und Ordnung wiederherzustellen“ durch die sofortige Absetzung des Rates der Volksbeauftragten, totale Entwaffnung des Proletariats und Übergabe der Waffen an das Regiment 75 bzw. die Division Gerstenberg.

Verhandlungen zwischen den Räten und Verden über Waffenstillstand, da die Entwaffnung der Arbeiter nicht so schnell vonstatten gehen könne wie befohlen, wurden abgelehnt, ebenso wurden Gegenvorschläge aus Oldenburg und Hamburg, ihre Soldaten, ebenfalls aus ehemaligen Räterepubliken, würden die Entwaffnung und den Sicherheitsdienst in Bremen übernehmen, die Division Gerstenberg könne abrücken, und in die neue provisorische Regierung würde auch die MSPD paritätisch aufgenommen werden, zurückgewiesen. Die Division Gerstenberg hielt an ihrem strikten Marschbefehl und ihren Unterwerfungsforderungen fest.

Diese Unterwerfung schien allen Revolutionären in Bremen, allen voran den Kommunisten, unannehmbar. Schließlich gab man aber doch nach, um ein Blutbad zu verhindern. Die Verhandlungen, die gleichzeitig in Berlin und in Verden geführt wurden, überschnitten sich zeitlich, so war das Einlenken bereits hinfällig, als es in Verden bekannt wurde: der Angriff der Regierungstruppen am 4.2.1919 war unausweichlich.

Der Angriff erfolgte ab 10:15 Uhr beidseitig der Weser, nach einigen intensiven, meist aber weniger heftigen Kämpfen war die Stadt bis zum Abend vollständig vom Freikorps erobert. Die Überlegenheit der Reichstruppen war eindeutig, sowohl quantitativ als auch qualitativ, sowohl was die Disziplin anging als auch die militärische Ausbildung.

General Gerstenberg übernahm nun wie geplant den Oberbefehl über die Stadt, entwaffnete alle irregulären Truppen, bildete eine Regierungsschutzmacht und eine bürgerliche Stadtwehr. Gegen die Verantwortlichen der Räte wurde eine Amnestie abgelehnt. Der alte Senat und die Bürgerschaft konnten nicht wieder eingesetzt werden, ohne dass dies als Zeichen einer Gegenrevolution gewertet werden würde. Also wurde eine provisorische Regierung aus 5 MSPD-Politikern mit einem „juristischen Beirat“ aus ehemaligen Senatoren gebildet, bis eine Bremer Nationalversammlung einberufen werden würde.

Im Laufe der nächsten Tage wurde auch die Räterepublik in Bremerhaven niedergeworfen und wie in Bremen behandelt. Damit waren die norddeutschen Räterepubliken von der Reichsregierung beendet worden und bürgerliche Ruhe und Ordnung wiederhergestellt.

Nachwort


Es wird der Bremer Räterepublik gerne in der bürgerlichen Geschichtsschreibung vorgeworfen, sie sei eine Minderheitendiktatur, die Herrschaft einer kleinen radikalen Gruppe über Arbeiter und Bürger gewesen. Sofern dies auf das Ergebnis der Wahlen zur Nationalversammlung anspielt, mag diese Beanstandung gerechtfertigt sein. Der Arbeiter- und Soldatenrat hat aber auch niemals behauptet, bürgerlich-demokratische Formen zu wahren. Dagegen hat die nach der Niederschlagung eingesetzte provisorische Regierung beteuert, sie sei demokratisch legitimiert, obwohl sie faktisch nur eine vom Reichsmilitär unterstützte zivile Diktatur war. Dies zeigt sich an dem Ergebnis der am 9. März 1919 abgehaltenen Konstituantenwahl, wo die MSPD mit 61 Mandaten nur eine etwas größere Minderheit gegen die 51 gemeinsamen Mandate von IJSPD und Kommunisten erzielte.

Auffällig ist auch, dass sowohl die provisorische wie die konstituierende Regierung, die am 10.4. eine Koalition von MSPD und bürgerlichen Parteien bildete, nicht daran sparte, die Räteregierung polemisch zu diffamieren und ihre Funktionäre zu verfolgen, jedoch einige von den Räten erlassene Verordnungen wie die Steigerung der Erwerbslosenfürsorge und die Arbeitszeitverkürzung, im übrigen auch für Beamte, nicht rückgängig machen konnte, ohne eine erneute Revolte der Bevölkerung zu provozieren.

Fraglich bleibt jedoch, ob die Uneinigkeiten über den Kurs und verwaltungstechnische Probleme nur Anfangsschwierigkeiten waren oder die totale Unfähigkeit eines solchen Systems zeigen. Vielleicht hatte die Räterepublik einfach nirgendwo und auch nicht in Bremen eine Chance, sich voll zu entfalten. Gerade aus den letztgenannten Anmerkungen lässt sich jedoch ersehen, dass dieses Kapital der Bremer Geschichte zu Unrecht so wenig erwähnt wird, lehnt sich doch die Bremer Räterepublik enger als die Münchener an die Berliner radikale Szene an.

Birgit Köhler

Journalistin
Historikerin
Lyrikerin
Autorin
aus Bremen