Gesundheit ist keine Ware

Globalisierungskritiker warnen vor Folgen der Privatisierung im Gesundheitswesen

(erschienen im Onlinemagazin Bremer Zeitkultur, 01.05.2002)

Verden/Bremen. 2002 ist Wahljahr, und dieses Mal ist – neben der so genannten Einwanderungsdebatte – die Gesundheitsreform eines der Hauptthemen in allen Parteien. Nachdem die Renten bereits zum Teil privatisiert wurden, ist jetzt das Gesundheitssystem an der Reihe – höchste Zeit, vor den fatalen Folgen einer solchen „Reform“ für das Gesundheitswesen und die Patienten zu warnen, findet attac, das Netzwerk der Globalisierungskritiker.  Mitte April 2002 startet eine bundesweite Kampagne von „attac“: „Gesundheit ist keine Ware“. Felix Kolb, Sprecher von attac Deutschland in Verden, erläutert, was es damit auf sich hat.

Ende des Solidarprinzips?

„Die Kosten im Gesundheitswesen sind in den vergangenen Jahren explosionsartig gestiegen, deshalb muss das System reformiert werden“, heißt es sowohl von Ärzte- und Krankenkassenseite als auch von Politiker jeder Coleur. Privatversicherungen sollen die Kosten minimieren, indem jeder Patient zu mehr Kostenbewusstsein erzogen wird und das öffentliche System von zusätzlichen, aber nicht notwendigen Behandlungen entlastet wird. Damit wird jedoch das solidarische Prinzip ausgehebelt, das bislang in Deutschland üblich war: Die Gesunden zahlen durch ihre Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für die Kranken. Setzen sich die Pläne der „Reformer“ durch, heißt es dann in Zukunft: Wer mehr Geld hat, kann sich eine bessere Behandlung leisten. Nun ist das an sich nichts Neues. Schon lange bekamen Privatpatienten auf Wunsch Chefarztbehandlung und Einzelbett im Krankenhaus. Doch die Pläne mancher Gesundheitspolitiker gehen weiter, in Richtung Zwei-Klassen-Medizin, kritisieren die Leute von attac.

Ammenmärchen Kostenexplosion

Zunächst einmal räumt Felix Kolb mit dem Ammenmärchen von der Kostenexplosion auf: „1970 wurden 25 Milliarden Mark für die GKV ausgegeben, im Jahr 2000 waren es bereits 250 Milliarden Mark. Was sich nach einer tausendprozentigen Steigerung anhört, muss jedoch genauer betrachtet werden“, so Kolb. Zieht man die Inflations- (160 Prozent) und Wachstumsrate (96 Prozent) ab und berücksichtigt die Steigerung der Versichertenzahl um 15 Prozent durch die Wiedervereinigung sowie die medizinischen Fortschritte zum Beispiel im Intensivbereich um 57 Prozent, so bleibt eine Restgröße von etwa 10 Prozent. „Das macht eine jährliche Steigerung um 0,38 Prozent, von einer Explosion kann also nicht die Rede sein“, so Kolb.

Tatsächlich nehmen nicht die Kosten der Gesundheit zu, sondern die Einnahmen der Krankenkassen ab, erklärt der attac-Sprecher weiter: Die Lohnquote, also der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen, nimmt seit Jahrzehnten konstant ab – und damit auch  der Anteil, der in die GKV fließt. Das hat mehrere Gründe: Steigende Arbeitslosenzahlen und steigende Rationalisierung sowie sinkende Reallöhne sind nur einige davon. Und: „Immer mehr Besserverdiener versichern sich privat und verlassen so das Solidarprinzip.  Die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens verteilt sich auf immer weniger Schultern.“

Negativ-Beispiel USA

Was das bedeutet, ist in anderen Ländern bereits zu sehen, kritisiert attac. Wer zum Beispiel in den USA krank wird, sollte besser eine gute Versicherung haben – sonst stehen ihm viele Medikamente und Therapien nicht zur Verfügung. Und die US-amerikanischen Erfahrungen zeigen überdies, so attac, dass die erhoffte Kosteneinsparung ausbleibt.

„Im Gesundheitswesen haben Marktmechanismen nichts zu suchen“, warnt attac. „Wenn Menschen nur noch als Kostenfaktoren behandelt werden, dann ist es mit dem vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis nicht mehr weit her.“ Konkret könnte das bedeuten, erläutert Felix Kolb, dass ein Patient in einem privatisierten Krankenhaus sich nicht sicher sein kann, ob er so schnell wieder entlassen wird, weil es medizinisch in Ordnung ist, oder ob damit die Bettenauslastung erhöht werden soll.

Globalisierung auch vor Ort

attac hat sich seit 1998 die Kritik an den Folgen der weltweiten Globalisierung im Zeichen des Neoliberalismus auf die Fahnen geschrieben. Doch Globalisierung geschieht nicht nur in weiter Ferne, in der Dritten Welt. Das will attac Deutschland gerade mit der jetzt beginnenden Kampagne „Gesundheit ist keine Ware“ deutlich machen. Die Aktionen starten am 20. April 2002 in Frankfurt und dauern fort bis zur Bundestagswahl im September. Von den Politikern aller Parteien fordert attac ein klares Bekenntnis zum Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenkassen und gegen die zunehmende Privatisierung im Gesundheitswesen. Und von der Bevölkerung erhofft sich attac mehr Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema. Felix Kolb: „Die Riester-Rente konnten wir nicht mehr verhindern, weil es kaum gesellschaftlichen Widerstand gab. Diesmal werden wir es ihnen nicht so leicht machen.“ (bik)

Birgit Köhler

Journalistin
Historikerin
Lyrikerin
Autorin
aus Bremen