Theater als philosophische Therapie

B.E.S.T. feiert Premiere mit "SinnRiss"

(erschienen im Onlinemagazin Bremer Zeitkultur, 15.09.2002)

Bremen. Was ist der Sinn des Lebens? Ist es etwas, was jemand allgemein- und ewiggültig formulieren kann? Oder ist es nicht vielmehr eine immer individuell und zeitlich begrenzt bleibende Lösung, die sich ändert im Laufe eines Lebens? Nicht nur Philosophen haben sich über Jahrtausende mit dieser Frage beschäftigt – und sind zu etlichen Antworten gekommen. Jetzt versuchen sich auch Bremer Schüler daran – in einer ganz anderen Weise, nämlich theatralisch.

Die 16 Jugendlichen zwischen 16 und 28 Jahren, die sich derzeit im Bremer Gewerbegebiet in der Georg-Wulff-Straße am Flughafen auf die Suche machen, gehören zum B.E.S.T., Bremens erstem schulübergreifendem Theater. Ihr Konzept ist im 12. Jahr ihres Bestehens schon legendär: Nicht „Kabale und Liebe“ oder „Mutter Courage und ihre Kinder“ führen sie auf, sondern eigene Stücke, die sich stets mit ihren ganz eigenen Problemen und Ansichten befassen.

Experimentell und symbolisch

So ging es im allerersten Stück „Die Angst der Pampelmuse vor der Entkernung“ 1992 um Ausländerintegration, weitere Themen waren Liebe, Gewalt, Zukunftsperspektiven, Einsamkeit, Abschiednehmen, Wertevorstellungen und nun eben nichts Geringeres als der Sinn des Lebens. Die Rollen schreiben sich die jungen Schauspieler auf den eigenen Leib, und das Ergebnis ist oft eine Mischung aus Improvisation, Experiment und viel Symbolik.

Um Symbole geht es auch in „SinnRiss“, und manchmal möchte man den „Film“ anhalten, um alle Szenen, die oft gleichzeitig in der großen ehemaligen Lagerhalle passieren, wahrzunehmen. Einen kontinuierlichen Handlungsstrang wird man vergeblich suchen, stattdessen stehen einzelne Szenen und mögliche Antworten auf die Sinnfrage nebeneinander, verbinden und trennen sich wieder.

Aus dem Zwangskorsett heraus

Da steigt ein blondes Mädchen in eine pinkfarbene Corsage, die ihr anfangs noch gut gefällt, sie aber schließlich so sehr einengt, dass sie am Ende das Zwangskorsett mit einem Schrei der Erleichterung sprengt. Da fordert eine militärische Trommelmusik alle zu einem Waschexzess auf, und wer sich widersetzt, wird brutal an den Haaren gezogen und zur Disziplin gerufen.

Da fragt ein Mädchen in einem rosa Partykleid den von ihr hoch verehrten Heinz Rühmann in einem Brief, ob sie Schauspielerin werden soll, und wenige Szenen später sieht man sie als Speditionskauffrau schuften. Da zitiert ein Junge, was ein 18-Jähriger alles getan haben sollte („er sollte in die Tanzschule gegangen sein, er sollte den Highscore von Robert Steinhäuser eingestellt haben“), bevor ihn ein Mädchen, die von einer Hochzeit in Weiß träumt, zum Bräutigam nimmt.

Viele kleine Geschichten

So werden etliche kleine Geschichten erzählt, die ein Bild geben von den Träumen, Ängsten, Suchen dieser (und anderer) jungen Menschen. Dass Theater auch eine Art Therapie sein kann, ist bei B.E.S.T. Programm. So erzählt Jenny, dass sie sich erst durch das Stück dem Thema angenähert hat, und Alexander gesteht: „Als wir uns am Anfang mit der Frage beschäftigt haben, was für uns in unserem Leben bislang sinnvoll und sinnlos war, da ging es uns teilweise sehr nahe.“ Einige seien da auch abgesprungen – zu nahe eben.

Die jährliche Fluktuation in der Truppe ist groß. Auch wenn einige bereits an ihren Schulen oder in anderen Laienspielgruppen Erfahrungen gesammelt haben – bei B.E.S.T. feiern die meisten in diesem Jahr Premiere. Manche sind aber auch „Wiederholungstäter“. „Es ist faszinierend zu sehen, wie die Schauspieler ihr eigenes Leben theatralisch reflektieren und damit nach außen gehen“, sagt Karl-Heinz Wenzel, einer der beiden Regisseure und Initiator des Theater-Experiments.

„Lebensbegleitende Theaterarbeit“

Er nennt B.E.S.T. denn auch „lebensbegleitende kulturelle Theaterarbeit“. Und Frauke, die im wahren Leben Unternehmensberaterin ist, sich seit etlichen Jahren aber auch um die Kostüme der Schauspieler kümmert, ist immer wieder aufs Neue begeistert von dieser „sinnvollen bremischen Bildungseinrichtung“.

Der Titel „SinnRiss“ ist übrigens ebenfalls symbolisch gemeint: Zwei Tage nach der letzten Aufführung des Stückes wird die Halle abgerissen – wie alle Gebäude in der Georg-Wulff-Straße – um Platz für den Neubau der geplanten A 281 zu schaffen. Nichts ist eben ewig gültig.

Premiere ist am Dienstag, 17. September, um 20 Uhr, weitere Vorstellungen sind vom 18. bis zum 21. und vom 24. bis zum 28 September, jeweils um 20 Uhr. Der Ort: Eine Lagerhalle in der Georg-Wulff-Straße 18 in der Neustadt (hinter dem Bürogebäude). Kartenvorbestellungen unter 04 21 / 44 54 38. (bik)

Birgit Köhler

Journalistin
Historikerin
Lyrikerin
Autorin
aus Bremen